In Socaire oberhalb von San Pedro de Atacama scheinen zum ersten Mal alle unsere Wünsche in Erfüllung zu gehen: Geiles Klettern, spektakuläre Landschaft, eine nahe Kleinstadt und jede Menge interessante Menschen. Altiplano 2017 – Kapitel 9 (13.05. – 16.05.)

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Nachts im Nebel ankommen, morgens zwischen schneebedeckten 6000ern aufwachen. Socaire.
Noch brütet der Schnee nur die Gipfel und Flanken ab 5500m. Mit jeder weiteren Front aber wird es weiter ins Tal hereinschneien.

Bei Nacht durch die immer ganz plötzlich atemberaubenden Landschaften des Altiplano zu fahren, ist eine zwielichtige Medaille. Zum einen kann man sicher sein, etwas zu verpassen, zum anderen wacht man in einer ganz neuen Szenerie auf, von der man sich noch Stunden zuvor nicht das leiseste Bild hatte malen können.

Wir reisen auf diese Weise von San Pedro de Atacama knapp 100km ins Klettergebiet Socaire (Quebrada de Naciemento). Bei der Ankunft umwehen uns Nebelschwaden und Jeanne beschwert sich, dass wir nicht mit der finanziell total abgebrannten französisch-venezolanischen Familie, die wir im 1000m tiefer gelegenen San Pedro kennen gelernt haben, geblieben sind. Am nächsten Morgen dann platzt eine blaue Bombe über uns. In einem Kreis umstehen uns sechs zum Teil sechstausend Meter hohe Berge in einem Mantel aus Neuschnee und unter einer Haube aus Restbewölkung unter einem ansonsten bleiblauen Himmel.

Ich erkunde die Schlucht auf der Suche nach Bouldern, aber die Pads habe ich schnell vergessen. Das an Tuzgle erinnernde vulkanische Gestein ist ähnlich rot und hat ähnlich abgefahrene Formen (auch wenn Tuzgle in allem eine Nummer größer ist), nur weißt es zehnmal so viele Griffe auf. Was unter dem Cerro Tuzgle noch von weitem endlos geil und von nahem unkletterbar aussah, hat hier (zumindest in der Nähe der Straße) schon jemand eingebohrt und gleich mein erster topoloser Stich in die Masse der sicherlich noch unbefreiten Projekte, bringt eine echte Perle zu Tage: Ein an meine Boulderform angepasste 12m lange Linie durch eine Parabolschüssel aus feinsten Löchern und Leisten hin zu einem fulminanten Abschlusssprung. Anhaltend pressig ohne eine entfernteste Andeutung von Ruhepunkt auf 3600m Höhe. Etwas wärmer als Tuzgle und nach fünf Tagen Sturm auch endlich nur noch windig bei noch einmal rauerem Gestein. Da kann man sogar in der Sonne klettern.

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Eines der Projekte: Ruta de Cobre, 8b plus 8A/8A+. Foto: Christobal Bayer.

Am ersten Tag erscheint uns der Ort zunächst noch ein bisschen frisch und verlassen, tags darauf dann klettern wir zusammen mit einer Gruppe Locals, das Wetter – nach Ende des Sturms wieder normal für die Saison – ist in der Sonne sehr warm und im Schatten perfekt kühl zum Klettern. Ich entdecke eine zweite schwere Linie, deren leicht überhängende Wandkletterei aus perfekten, winzigen Löchern auf farbigen Gestein mit zum Besten gehört, das ich bislang unter den Fingern hatte. Und am Abend hat man uns bereits einen einheimischen Kletterer mit Bohrmaschine vermittelt, denn neben den bestehenden Linien warten vor allem im oberen Segment noch so einige schwer glaubhaft zu machende Linien auf die ihnen zustehenden Haken.

Dazu das breite Angebot an landschaftlichen Besonderheiten in der Umgebung und die Möglichkeit auf 2400m Höhe nach San Pedro abzusteigen, wann immer gewünscht oder gebraucht, lässt sich in uns den Eindruck verdichten, am ersten Ort dieser Reise gelandet zu sein, an dem eigentlich alles passt. Ein sogenanntes Paradies. Wie Gjerdalen 2013 in Norwegen, Parkachik 2015 in Indien oder Piedra Parada vergangenes Jahr in Patagonien…

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Valle de la Luna. 5km vor San Pedro und irgendwie wie vom Reißbrett.

Tags darauf dann eine weitere Verdichtung der Vermutung. Nach einem entspannten Tag in einem selbst ernannten Camp (3 Busse, 2 Zelte und 10 Menschen) unweit der Stadt San Pedro, zieht es uns früh am nächsten Morgen in das einzige Touristenziel im Umland, das selbst auf den Bildern der Ausflugsagenturen gut aussieht: Das Valle de la Luna. Man lässt uns eine gute Stunde vor der eigentlichen Öffnungszeit ein, das Feld liegt also erst einmal frei vor uns.

Wir schieben und klettern uns durch einen Höhle aus Salz, man kann an den Wänden lecken. Dann öffnet sich die Landschaft, Sand gesellt sich zum weißen Salz und den rotbraunen Sedimenten und schließlich erscheinen die ersten Dünen. Wir erlaufen die, die man erlaufen darf, will man das perfekte Antlitz des verblasenen Sandes, vor allem nach diesen Tagen des Sturmes nicht zerstören. Ich bade um ersten mal in den warmen, salzigen Quellen der Wüstenfotografie. Alles ist einfach – man treibt förmlich auf den Reizen der Landschaft hin zu besten Aufnahmen – und erfordert doch mehr an Sorgfalt als die hier sonst vorherrschende Landschaftsfotografie aus langen steten Linien im Vordergrund und pittoresken Gipfeln dahinter. Jede feine Wellenlinie im Sand kann aus einem normalen Bild ein mitreißendes machen.

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Salz in der Morgensonne. Aliénor im Valle de la Luna.
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Nicht viel um mit Info in den Dünen des Valle de la Luna. Postfaktisch schön.

Elias, der uns die Bohrmaschine ausgeliehen hat, entließ uns mit einigen Empfehlungen in der Nähe von San Pedro. Schon bei seiner Schilderung des tiefer gelegenen Canyons von Toconoa, fiel es mir schwer zu glauben, das dieser dem weit größeren Socaire überlegen sein sollte. Jetzt sind wir in ein Bouldergebiet unterwegs, zu dem man durch denselben Fluss insgesamt sieben mal mit dem Auto hindurch muss. Mitunter einen halben Meter tief im Wasser. Am Ende liegen da ein paar Blöcke wie hingekrümelt. Zu Hause würde ich diese sicherlich putzen, aber nach Orten wie Tuzgle wäre hier zu Bouldern irgendwie merkwürdig. Gleiches gilt leider auch für das Potenzial an schwereren Routen in Toconao. Nicht fiel um.

Also machen wir uns beschwingt, aber mit wieder kühlerem Wetter, erneut nach Socaire auf. Zusammen mit einem wiedererstarkten Wind eine ziemlich Kühlschrank-Kombination. In denen man zumindest gut klettern kann. Nicht nur kann ich dem schließlich bevorzugten meiner zwei anfänglichen schweren Projekte große Fortschritte machen, dank Elias‘ Unterstützung bohre ich eine 30m Linie durch einen riesigen Parabolspiegel ein, der von steiler Platte bis zu leichten Überhang verläuft. Ich wähle von oben kommend den am feinsten mit Griffen versehenen Verlauf aus und kreiere tatsächlich in etwa das, was ich für den Fall, dass wir uns länger oder noch einmal später in der Gegend aufhalten sollten, suchen würde. Nach einem leichten vorgesetzten Einstiegsblock auf dem man noch einmal stehen kann, geht es über einen ersten kleinen Bauch hinein in den eigentlichen Spiegel. 7A ist diese Passage und so schön wie technisch, danach geben ein paar bessere Griffe in der Platte noch einmal einen guten Ruhepunkt her. Das Gelände steilt auf und die Griffe werden – wenn auch nicht wirklich rarer (das Gestein ist von kleinen bis kleinsten Löchern zum Teil übersät) – doch stetig kleiner. Genauso wie die Tritte. Hat man sich durchgemogelt, wartet noch einmal ein passabler Ruhepunkt im leichten Überhang.

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Baby, gib mir eine Wand wie diese, in die noch niemand seinen Bolt versenkt hat und ich mache dir ein wunderschönes Kind! Untere Crux, ca. 7C/7C+ in der Platte. Foto: Christobal Bayer.

Bis hier wohl schon schwerer als 8b, bleiben an dieser Stelle noch vier Meter zu klettern. Das steilste Stück der Wand mit vom Wandkopf her eindringenden Farben von orange bis rosa, der sichtbarste Wandabschnitt im vielleicht ganzen Gebiet und nur noch mit kleinsten Löchern ausgestattet. Ein Hook, zwei weite Züge und ein Sprung in den Abschlussgriff runden das Unterfangen ab. 8A+ ist der letzte Boulder sicherlich.

Inzwischen hat uns das Altiplano auch schon das ein oder andere Kilo von den Knochen genagt, ohne aber dass wir, wie in Indien 2015, schon wieder abbauen würden. Dort hatten wir in derselben Höhe wegen Erkrankungen und nicht ausreichend gutem Essen sogar früher als geplant aufgeben müssen. Es ist eigentlich wieder wie mit siebzehn. Man kann so viel Essen, wie man will, und legt doch kein Gramm Fett an. Praktisch, aber natürlich auch von uns gesucht. Zusammen mit dem Faktor des Hämoglobins erwachsen dem nicht sonderlich zum aktiven Trainieren geneigten Familienkletterer einige ganz automatisch erlangte Vorteile: Bestes Kampfgewicht, relativ zur Höhe eine deutlich aufgebesserte Maximalkraftausdauer und Kraftausdauer und natürlich immer perfekte Conditions (20% relative Feuchte, Wind, 5 Grad im Schatten). Erworben allerdings ebenfalls mit ein bisschen Geduld. Erst nach sechs Wochen ist das Hämoglobin vollkommen auf 4000m eingestellt und schlank wird man natürlich auch erst mit der Zeit. Und es bedarf einer gewissen Organisation, die einem vor den typischen Fallen beim intensiven Klettern in diesen Höhen lauern: Ungenügende Ernährung; trockene, an den Fingern aufbrechende Haut; mangelnde nicht der langsameren Erholung in der Höhe angepasste Regenerationszeiten; Überanstrengung wenn nicht ab und zu tiefer geschlafen und gegessen werden kann.

Bisher bekommen wir das alles ganz gut gebacken, nur das Wetter ist uns leider dieses mal nicht wirklich ganz so hold wie vor einem Jahr in Patagonien. Auffällig kalt für die Jahreszeit. Und einiges an Schnee, ebenfalls viel zu oft und zu viel im Vergleich zu normalen Wintern. Aber das Frieren zahlt uns aus mit einem unglaublichen Anblick nach dem nächsten. Zunächst wird der üppige Schnee nur über die Bergrücken geblasen, dann rückt er auch bei uns auf 3600m ein und beginnt schon nach einer Stunde den Boden auf der kalten Seite des Canyons zu bedecken. Zeit für uns, angesichts ähnlicher Aussichten für die nächsten Tage, zum ersten Mal auf dieser Reise den Pazifik, den wir vergangenen Jahres an so vielen Stellen besucht hatten, aufzusuchen. Antofagasta.

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Und der erste Boulder. Foto: Christobal Bayer.

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