Über München, Madrid, Santiago, Montevideo und Colonia zu unserem Bus und einigen mittelschönen Überraschungen in aufreibenden 48 Stunden.

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Das initiale Bild. Blick eines allerersten von 150 Abenden über die Dächer von Montevideo.

Kapitel 1 (03.04.17 – 07.04.17)

Wir kratzen Kacke.
30 Stunden Flug, Flughäfen, Essen in Tüten, Trinken aus Styropor. Das Leben der anderen. Sitzen, sitzen, sitzen und Unterhaltungsprogramm. Die Kinder – phänomenal – machen mit, schauen fern, bis ihnen die Beine jucken. Im Flughafen zwischendrin noch immer diese Luft, die einem die Pickel wachsen lässt und der dringende Wunsch nach dieser Reise nie wieder zu fliegen. München, Madrid, Santiago, Montevideo.
Wir kratzen Kacke. Unerwartetes Momentum Nummer zwei dieser noch so jungen Reise. Aber was wäre schon Reisen nach Plan.
Seit drei Tagen sind wir unterwegs und die Sonne, die über dem Ozean höher steigt, der eigentlich nur Flussdelta des Rio de la Plata ist, und also braun statt blau, scheint mir auf die Beine. Brennt, im Grunde. Es ist umgerechnet Anfang Oktober, aber hier ist der Sommer noch lange nicht vorbei. Die Nacht löst sich nur spät und ungern von den 20°. Fast wie in dieser letzten Woche Frühling zu Hause vor den Alpen, nur eben keine Tagsüber-Laune einer halb erstarkten Sonne, sondern mehr Überzeugung einer Jahreszeit, die nicht gehen will und noch in jedem Winkel sitzt mit ihrer Wärme. Hitze fast. Wind über dem pittoresken Strand. Und keine Menschenseele außer uns.
Wir sind schon wieder angekommen. Die Kacke ist beinahe weg.
Zuerst war nur der Schein der Sonne auf der Innenwand der Isolation im Bus. Unser erprobtes Gefährt, das brav auf uns gewartet hatte in Uruguay. Zehn Monate im Freien bei einer Dame, die diesen Service im einzigen Land Südamerikas, in dem man Autos länger als 90 Tage lassen darf, anbietet. Der Schein im Inneren des Wagens entpuppt sich als Sonnenschein, der durch ein Loch im Blech herunterfällt. Da wo wir das Martinshorn unseres ehemaligen Polizeifahrzeugs – kugelsicher und mit Chefsessel-Etage – entfernen hatten lassen, haben sie die Plastikdichtung weggefressen, sind eingestiegen, haben gelebt, gewohnt, die Kinder großgezogen. Gefressen. Vor allem Bücher, aber auch Teile des verpackten Essens, das wir von unserem letzten halben Jahr in Patagonien dort gelagert hatten.

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Sprung in den Rio de la Plata. Dahinter kommen noch einmal 60km Wasser und dann Argentinien.

Böte sich dieses Bild uns nicht im subtropischen Uruguay, sondern in ebenjenem Patagonien, könnten wir jetzt überlegen, ob wir den Bus nicht lieber verschrotten lassen sollten. (Auch so ist uns nicht wohl angesichts der anstehenden Putzaktion.) In Patagonien sieht man überall diese Warnplakate, auf denen steht: „Bloß nicht mit ihrer Kacke in Berührung kommen!“ Hanta heißt der Virus, vor dem gewarnt wird, vor dem die Leute sich fürchten, weil er so plötzlich wie tödlich ist. Wir werden sehen.
Wir kratzen Kacke. Mäusekot. Überall. In jedem Fach, am Boden, hier und ein Nest. Nach einem halben Tag sind wir damit durch. (Mit sehr viel Chlor und Virenkillern.) Dazu die Hitze unseres zweiten Tages in Uruguay, 26° und eine steile Sonne. Geht-so-geil.
Am Flughafen – abends, zwei Tage zuvor – hatte es noch geregnet, seit gestern, als wir dem Charme unserer dritten südamerikanischen Hauptstadt – Montevideo – für einen Tag erlegen sind, dann nur noch blau. Am Nachmittag nach Colonia, gegenüber von Buenos Aires, (wo unsere letzte Reise vor genau 16 Monaten begann), zu unserem Bus und ziemlich bald die Früchte unseres ersten Missverständnisses. Mir war nicht mehr ganz klar, ob ich neben den Zollpapieren auch den Fahrzeugschein vor Ort gelassen hatte, und der Unterstellerin – ihres Zeichens Münchnerin – war wohl nach knapp zehn Jahren Uruguay nicht mehr ganz klar was ein Fahrzeugschein ist. Auf jeden Fall bestätigte sie mir per Mail, dass sie diesen bei sich hat. Und wir flogen unbesorgt über den Atlantik, um in Colonia dann herauszufinden, dass wir nicht alle Papiere haben. Geht-so-geil. Dafür fährt der Bus, als wäre er nie gestanden.
Zum Glück gibt es meine Mutter und die findet das Stück Papier zuhause, steckt es in die Post, während wir den Bus in Stand setzen. Die Stimmung hellt sich beträchtlich auf.
Eine Vogelspinne, die beim Spielen fast über Jules Füße klettert, erheitert vor allem die Kinder. Ansonsten ist Colonia eine der schönsten älteren Städte des südlichen Teil des Kontinents mit Kopfsteinpflaster und Cafés, Eisdielen und einem Licht, schon herbstlich klar, aber noch sommerlich hoch, das uns bereits an Tag drei der Reise überzeugt von der Schönheit hier zu sein. Im Konkreten und auch ganz allgemein. Ich hoffe mal es gibt hier wirklich kein Hanta.
Und dann haben sie hier auch noch Cannabis legalisiert seit einem Jahr. Die Welt wird Schritt für Schritt, und Land für Land, normaler, zumindest in diesem Punkt. Wir treffen einen Straßenhändler aus El Bolson, Hippienest ganz in der Nähe von Piedra Parada, wo wir vor genau einem Jahr für fast zwei Monate eingetroffen waren. Ein bezauberter Ort am Fuße der Anden auf einem großen Kontinent, mit doch nur so wenigen Städten. Diese Welt ist klein. Sie schließt uns in ihrer Offenherzigkeit schon wieder ein, fühlt sich nach Zuhause an.

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Subtropisch unter hohen Bäumen und bei auch noch im Herbst 20 Grad des Nachts. Colonia am Rio de la Plata.

Dabei war ich so geil darauf gewesen noch vor Tagen – und bin es immer noch – in unsere Jurte zu ziehen, die ich unter Hochdruck gebaut hatte in den letzten sechs Wochen und die tatsächlich komplett fertig ist, acht Meter rund, 50m² plus Empore, extra dicke Winterdämmung, vier Meter hoch, sogar ein dicker Eichentisch war noch drin gewesen im aufgestellten Zeitplan. Aber was für eine Aussicht, sie in fünf Monaten aufzubauen, an diesem verwunschenen Ort am Fluss und weiter so zu leben wie auf dieser Reise, die sich beginnt vor uns zu öffnen, in ihrer Weite, Argentinien, Bolivien, Peru, Chile. In diesem Bus.
Ich wache auf, Tag vier, feingliedriges Morgenlicht über dem Rio de la Plata und drei Namen treten mir wie Begriffe vor das schlaftrunkene Gesicht: Liebe, Nähe, Wärme. So will ich immer leben, mit schlafenden Kindern zwischen decken neben mir und Jeanne, die sich zum Yoga auf dem Strand aufmacht. Und den ganzen Tag so fort, so weiter. 150 Tage. Und dann Jurte.
So tief war dieser Bau-Flow gewesen, irgendwie wie Microdosing, dass ich nicht einmal mehr Klettern war. „Nur“ an meinem Block im Garten, dafür aber umso intensiver, nicht oft, alle drei Tage, so wie in meinem bislang besten Kletterjahr 2014/2015 am Cousimbert nahe Fribourg in der Schweiz, und mit demselben Ergebnis: Schlank von der körperlichen Arbeit und immer toperhohlt kann ich die Boulder aus dem Herbst, die ich bei damals schon sehr guter Form und kaltem Wetter in oft erst mehreren Tagen Arbeit bezwingen konnte, zum Teil auf Anhieb, oder zumindest deren Cruxpassagen. Ich bin also bereit für die großen Blockfelder auf unserer Route: Tuzgle, Bregalito, Valle de las Rocas, Hualluay, Punitaqui, Golden bei Coquimbo. Mir werden schon die Finger feucht. Nicht nur von der Hitze.
Bis dahin aber erst mal baden im Rio de la Plata!

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Erstes Licht auf wilden Pferden in einem Park nach einer Nacht Gewitter und dem Ende der richtig schwülen Temperaturen.

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