1500km südwärts durch Ströme von Gastfreundlichkeit, Wein und Insekten zurück in etwas, das wie ein Zuhause aussieht. (Versuch einer grünen Reise, Kapitel 5, 27.12.15 – 03.01.16)

Patagonia. Ja, noch nicht ganz. Ist noch ein Stück. Erstes Zwischenziel heißt Concepcion. 500Km südlich von Santiago de Chile. Eine weitere Freundin lebt dort. Wein steht flach über den hellen Gräsern. Blau geht der Blick auf einen ersten veritablen Vulkan am Horizont. Echter Kegel, wenig Schnee. War Mendoza die spainische Fototapete auf flachem Untergrund, dann ist das hier Südfrankreich ohne Hügel.

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Bomber hebt ab. Ein Pelikan im Hafen von Concepcion, Chile.

Caracas kotzt. Der Hund mag keine Autofahrten. Vor allem nicht aus dem Cajon de Maipo raus. Dann geht es besser über die Autobahn. Die Hitze wird hinten im Bus irgendwann fast unerträglich, wir können schwitzen, er nicht. Wie ein Wurm hängt er in seinem Eck, und ich werde fast aggressiv, so unterwürfig leidend er, so hilflos. Kann ich nicht sehen. Blaming the victim nennt man das in der Psychologie. Erleichtert das erkrankte Gruppenmitglied vollends auszustoßen.

Wir behalten den Hund. Dann kommt Concepcion. Zwei Tage im Kreise einer chilenischen Familie. Essen, Wein in Litern verkosten, Seelöwen im Hafen bestaunen. Pazifik. Zumindest ein hauch davon. Am Strand der tausend Barken Empanadas essen. Die Leute sind so süß zu uns, überschütten uns mit Fürsorge und können doch gleichzeitig ihre Handyrechnung nicht begleichen. Wir haben irgendwie ein schlechtes Gewissen.

Dann wieder ein Bouldergebiet. Valdivia. Einen Tag weiter südlich, diesmal Pazifik unendlich. Ein Strand, eine offene Bucht am Ende einer Dirtroad. Das Paradies. Üppige Vegetation. So sieht es aus von oben. Jede Menge Blöcke. Wir steigen aus. Und begreifen den Haken an der Sache. Sumpffliegen. 3cm groß, schwarz, laut und überall. Sie beißen. Nicht schlimm, aber wie psychologische Kriegsführung. Bomber, die dann „nur“ schießen. Wir fragen nach. 20 Tage werden die Tiere mindestens noch bleiben. 20 von ihnen hat man mindestens um sich herum zu jeder Zeit. Aliénor wird verrückt davon. Die Blöcke sind aus bestem Fels, aber eher weiter weg vom Strand. Nicht ideal für Kleinkindbouldern, aber das ist ein Detail. Mit diesen Insekten ist an ein Bleiben nicht zu denken. Die Kinder können nicht einmal den Bus verlassen. Der Hund wird narrisch.

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Paradies. Für Boulderer und während ein paar Wochen im Jahr auch für fiese, dicke Käfer. Leider genau zu unserer Zeit.

Die Küstenstraße Richtung Süden auf dem Hochufer vor dem größten Blau der Welt gehört zum Schönsten, das ich bisher gefahren bin, und ich liebe den Heckantrieb auf Schotter. Es schwimmt sich richtig gut. Hier oben eine Jurte aufstellen. Das wär’ es doch, Schatz, oder?

Eine deutsche Brauerei, dann landeinwärts, Felder, Forstindustrie, weniger schön. Ich denke schon, jetzt ist der Süden da, der Süden, dort wo nichts mehr ist, dann aber öffnet sich das Seenland. Und mit ihm unser Herz. Wir sind daheim. Nur schöner. Grün und Felder, kleine Dörfer, Süßwasser, am Horizont die Berge, aber alles wild und offen. Und darüber thront ein Berg. Volcan de Osorno. Eine Lavanadel wie aus dem Prospekt. Aus vielen Prospekten vermutlich. Aber egal, Kitsch, und so genial. Die Form, die weiße Kuppe. Will ich hier wieder weg? Wollten es die Siedler?

Überall deutsche Namen. Silversterabend. Ein Strand für uns allein, dazu der größte dieser Seen hier. Das Jahr geht und der Sommer kommt. Ich fühle keinen Jahreswechsel. Ich will nicht wechseln. Dies ist der Punkt, an dem es keinen Neujahrsvorsatz mehr gibt. Es soll so bleiben, wie es ist, wie es im letzten Jahr gewesen ist. Ich will nicht mehr. Ein bisschen weniger höchstens. An materiellen Dingen. Aber mit Jurte bis Juni, Zelt in Indien und jetzt der Bus war auch schon 2015 richtig gut. Richtig wenig.

Wir gehen baden.

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Alpenvorland nur etwas imposanter und viel, viel verlassener. Der Cerro Osorno über dem Lago Llanquihue.

Das Bild der Jurte in den Feldern steht beim Weiterfahren wieder in mir auf. Vielleicht einmal ein Sommer hier. Vielleicht einmal mehr als neun Monate hier reisen. Vielleicht schon dieses Mal, Schatz? Jeanne möchte Ärztin werden. Kann ich verstehen. Nach diesem Studium. Ich werde bestimmt auch einmal Psychologe. Irgendwann.

Chile grillt sich einen Bauch an, wir fahren ins Yosemite des Südens. Cochamo. Kommen aber leider nicht hinein. Unsere Karte ist in diesem Punkt nicht sehr genau. Wir müssten laufen, eine Tag, aber wir haben ja nicht einmal einen Rucksack. Pferd kostet 100€ hin und zurück. Auch nicht ganz ohne. Der Betreiber des Campingplatzes, auf dem es Pferde gibt und jede Menge grün, einen Fluss wie im Tessin und dichte, flache Wälder, lädt uns zum BBQ und verliebt sich dann in Caracas, den Hund, und Jeanne, die Frau. Letztere kann er natürlich nicht dabehalten. Nach dem Hund fragt er allerdings gleich ganz direkt. Und ich bin erstaunt als Jeanne und Jules, ich selbst bin eh kein Hundefreund, sagen: Ja, der hat es doch viel besser hier als kotzend auf den Schotterpisten der Carretera Austral. Okay, ich verstehe zwar nicht ganz, aber in Chile muss man sich nicht mit einem Hund beschützen und paradiesisch für ein Tier ist es hier auf jeden Fall. Wir fahren ohne weiter.

Zufälligerweise treffen wir noch einmal Coni aus Santiago in Puerto Vagas, wo sie Neujahrsurlaub macht, noch einmal decken wir uns ein mit allem Nötigen, denn jetzt soll er wirklich kommen: der Süden. Patagonia.

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Der Beginn der Carretara Austral bedeutet das Ende des Asphalts. Hier südlich von Puerto Montt.

Von Puerto Montt nehmen wir eine erste Fähre. Das Land fällt augenblicklich aus Mitteleuropa raus in Skandinavien über. Nur mehr Bewuchs. Fjorde, Wasser, dann Granit. Und Einsamkeit. Was am Golfstrom lange dauert, geht am El Nino um so schneller: Südlich werden. Polar. Die Gletscher züngeln schon auf 1500m herunter und wir sind noch nicht mal auf dem respektiven Breitengrad von  München.

Dann eine zweite Fähre und eine nicht so schöne Überraschung.

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Nationalpark bei beinahe Nacht.

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