Der Versuch einer langsameren, grüneren Reise mit Kindern und Katze nach Patagonien. Sieben Monate mit Schiff und Bus unterwegs zu Gletschern, Steppe, Regenwald und Nadeln aus Granit. Die damals (2016) erste 9a Lateinamerikas und der schwersten Boulder Patagoniens. Das Ende der neuen Welt liegt nicht in Ushuaia. Ich stelle mir das Ende der Welt wie das Ende des Lebens vor. Und nichts daran dürfte sich so sehr vom Leben unterscheiden, wie der Mangel an Umwelt. Zu uns gebracht über unsere Sinne. Wenn also das Ende des Lebens geprägt sein wird von nicht mehr sehen, hören, riechen, fühlen, schmecken, dann entspricht das Ende der Welt ziemlich genau der patagonischen Pampa irgendwo entlang der Ruta 3.

Der Ozean außer Sichtweite und ansonsten: Kein Baum. Kein Haus. Keine Kurve. Kein Hügel. Kein Mensch. Kein Schild. Kein Tier. Nur Wind. Vielleicht Wolken. Eventuell einmal ein Guanaco. Auch Schafe sollte man nicht kategorisch ausschließen. Aber auf den nächsten 100km könnte tatsächlich nichts von alledem passieren.

Das wäre dann Ende der Welt. Auf jeden Fall gefühlt.

Dabei wollen wir ja gar nicht fahren. Wollen nicht fliegen. Uns nur maßvoll am Konsum dieser köstlichen, argentinischen Steaks laben. Nichts von diesem minderwertigen China-Schrott kaufen, der Südamerika überschwemmt und angesichts seiner Halbwertszeit die krasseste Ressourcenverschwendung darstellt, die man sich vorstellen kann. Und außerdem sehr schnell als offener Müll endet. Müll ist hier überall, wo Menschen sind.

Zum Glück gibt es in Patagonien in der Regel keine Menschen.

Im Sinne eines nachhaltigeren Reisens werden wir zudem in sechs Monaten „nur“ 15.000km fahren, mit dem Schiff von Europa gekommen sein, unseren Wohnraum nie geheizt haben, tatsächlich weitestgehend vegetarisch gegessen und auch ansonsten ganz allgemein eine sehr ruhige Kugel geschoben haben. Im Vergleich zu anderen Reisenden versteht sich. Nicht im Vergleich zu der armen einheimischen Landbevölkerung. Deren Fußabdruck ist weit kleiner. Ungewollt. Aber wirksam.

Die Zukunft des Menschen liegt nicht in der Unwilligkeit diesen Planten für uns alle unbewohnbar zu machen. Diese ist uns Erbgut geschrieben. Sie liegt in der Unfähigkeit zu dergleichen. Wir werden erst dann nicht mehr zerstören, wenn wir es nicht mehr können.

Oder: Wenn alles in dieser Welt einmal auf uns wirkt wie das Land an der Ruta 3, dann werden wir freiwillig gehen.

Noch aber können wir – wir hier ganz konkret hinter dem Steuer unseres Busses – fliehen. Schlappe 1000km weiter neigt sich die Ereignislosigkeit der gesteppten Pampa ihrem Ende zu. Und es eröffnet sich, wofür die Menschen alle diesen weiten Weg hierher beschreiten: Calafate, El Chalten. Gletscher, die an Seen lecken. Granitnadeln, die so pittoresk aus der Ebene schießen, dass selbst die Vorstellung, hierbei könne es sich um die Zähne eines weit aufgerissenen Haifischmauls kurz vor dem Verschlingen des Betrachters handeln, erträglich erscheinen lässt. Nationalparks voller knorrigem, im Wind geschaffenen Grün. Wenn das Ende der Welt 400km weiter nordwestlich liegt, dann befindet sich der Anfang der neuen Welt hier. Vor allem, wenn man zudem jenem Satz glauben schenkt, jedem Anfang läge ein Zauber inne.

Man ist geneigt zu glauben, aller landschaftlicher Zauber dieser Erde könnte hier entstanden sein.

Torres del Paine in Chile greift diesen Zauber noch einmal auf. Im Grunde tun dergleichen viele der Andenüberquerungen, die wir zwischen der ersten 9a Südamerikas, dem schwersten Boulder Patagoniens, pittoresken Flüssen wie dem Futaleufu, dichten Regelwäldern am Pazifik, schönsten Seen unter Vulkanen, Pinguinen, Pelikanen, Seelöwen und Kondoren unternehmen.

Gegen Ende werden wir immer langsamer. Tauchen zunehmend tiefer ein unter die Menschen. Die lokalen Kletterer. Den ruhigen Takt der Steppe.

Und dann kommt der Herbst. Entlaubt die Pappeln und Weiden und erlaubt uns die Rückkehr in diesen Rhythmus, den wir so gerne mit Lebendigkeit verwechseln. Auch weil es uns in Santiago de Chile – also von unserem Abflugsort Buenos Aires aus gesehen auf der falschen Seite der Anden – einschneit, komplettieren wir unseren Kilometerstand in der letzten Woche doch noch auf 20.000.

So sind die Zwänge, die man sich selbst so auferlegt. Flugdaten, Arbeitswiedereintritt, Familienfeste. Andre Kontinente. Der Bus aber bleibt in Uruguay.

Wir kommen wieder. Noch so ein Zwang, den Untergang voran zu treiben.