Fünf Monate mit Bus und Kindern über das größte Hochplateau der Welt zwischen Argentinien, Chile, Bolivien und Peru auf 4000m Höhe hin zur Form meines Lebens, der ersten 9a+ Lateinamerikas und der ersten 9a der Welt auf über 4000m.

Körper und Geist sind eins. Der Dualismus ist konzeptionelle Vergangenheit.

So dachte ich.

Und jetzt stehe ich hier. Am Ende dieser Reise. Und bin nicht mehr eins. Mein Geist ist viel zu schwer, um diesem Körper, den nichts mehr am Boden hält, irgendwie angehören zu können. Zumindest die Gravitation ist sehr dual in diesen Tagen.

Fünf Monate sind vergangen, seit wir zum ersten Mal an diesem Strand am Rio de la Plata standen. Hier begann unsere Reise über das Altiplano, von hier brachen wir hoffnungsfroh und erwartungstrunken auf. Und hier stehen wir jetzt wieder. Blicken auf das Silbergrau des Flusses und des Himmels und erwägen das Ende unserer Familie, wie wir sie bis hierher kannten.

Und wie es dann in den folgenden Wochen tatsächlich auch kommen wird.

Nur zwei Wochen zuvor habe ich auf 3600m in Socaire, Chile die erste 9a+ Lateinamerikas geklettert. Eine Woche später die erste 9a der Welt über 4000m in Tuzgle, Argentinien. Beide Linien gehören klar zu den schönsten drei meines Lebens.

Durch die 9a+ – Le vent nous portera – bin ich quasi geschwebt, obwohl ich nur Wochen zuvor noch gänzlich chancenlos war. Und ohne die Route in der Zwischenzeit probiert zu haben. 5kg habe ich abgenommen. Über Monate hatten wir uns in der dünnen Luft des Hochplateaus bewegt. Inzwischen steige ich die 200 Höhenmeter loser Schotterhänge zu den Routen in Tuzgle mit 40kg Gepäck (Bohrmaschine, Seil, Haken, Kletterzeugs, Proviant, Spielzeug und ein Kind auf den Schultern) hoch wie zu Beginn nur ganz ohne Rucksack. Die Kälte und die Sterne über uns sind nur noch Geschenk.

Und wir sind nur noch der Wind. Durch den wir fliegen.

Und doch trägt es uns gleichermaßen davon. Vielleicht ist Fliegen nicht die Art vorwärts zu kommen in einer Familie.

Vielleicht sind wir geblendet von der Schönheit der Reise. Von den überzuckerten Vulkanen, den tausenden Farben in Gestein und Geschotter, das die Anden zumeist dann doch sind. Von den dampfenden Quellen, die beim morgendlichen Bad in den Sonnenaufgang umstellt sind von zweistelligen Minusgraden und Eis. Vom Trubel der Märkte in bolivianischen Städten, der Einfachheit, die ein Leben auch heute noch annehmen kann. Vom schier endlosen Weiß der Salzseen, an deren Rändern man den Erdschatten sieht, wenn die Sonne verschwindet.

Als krümmte sich der Raum um die Zeit.

Vielleicht haben wir im Sturm und der Kälte, in der benebelnden Sonne und der viel zu dünnen Luft nicht mehr gesehen, was uns immer am Boden hielt. Nebeneinander. Vielleicht ist zu viel Aufbruch nicht gut, wenn man trotz aller Dynamik doch bleiben sollte. Zusammen.

Und so formt an diesen letzten Tagen der Reise das tief hängende Blei im Himmel über dem Rio de la Plata meinen Geist nach, als hätte sich mit dem Wiederauftauchen der Wolken zwei Tage zuvor alles verschoben. Nach unten. In Richtung Gravitation. Als könnte dieser Horizont in der Vertikalen nie mehr verschwinden. Wie ein Deckel aus einem Topf ohne Entrinnen.

Und nur mein Körper bliebe allein, schwebend, in der Form seines Lebens.

Zusammen mit dieser Geschichte, so wunderschön wie zerrissen. Fünf Monate Fliegen.

Ohne Zurück.