Was sich auf dem Weg zu einer 9b so alles in den Weg stellen kann. Via de la Capella, Siurana.

Anpirschen für 13 Züge Crux. Nach diesem 7A+ folgt in La Capella (9b) der Legende nach zweimal 8B. Aber darüber werden die Geister von Erstbegehern, Wiederholern und Beobachtern wohl noch lange streiten. Foto: Daniel Bartsch

Gemein ist das Schicksal nicht dann, wenn es einem so viele Steine in den Weg legt, das daraus ein Berg erwächst. Berge im Weg machen das Umkehren bekanntlich leichter. Gemein ist in jenen Momenten, in denen es ein Spannungsfeld kreiert – einem Magnetfeld gleich – zwischen dessen Polen Ultrageil und Oh mein Gott!“ es uns dann zerreißen will.

Es gibt verschiedenen Grundvoraussetzungen, die das Entstehen eines solchen Feldes begünstigen. Zum Beispiel eine asozial bestechende Kletterform bei gleichzeitig Monate währendem, kriminell schlechtem Wetter. Oder ein räumlich weit entferntes Traumziel und zwei Kinder, die es den langen Weg durch ein möglichst „mautarmes“ Frankreich mitzunehmen gilt (ein schwieriges Unterfangen voller kleinster Nebenstraßen). Oder Krankheiten, Autopannen, Antibiotika…

Ein Traumtag am Straßenrand. Mit Panne verbleiben wir bei schönstem Wetter 9h in dieser Kurve.

Wir brechen trotzdem auf. Münchner Alpenvorland – Siurana. Ende Januar. Mein Nachwuchs zusammen ist ungefähr zwei Meter groß und die Kindergartenpflicht wurde in Deutschland zum Glück noch nicht eingeführt. Warum also nicht diesen Traum in der Sierra de Prades weiterleben, der sich in mir von 2005 über die Jahre immer hoher türmte. Tiefer drang. Und immer mehr Bedeutung für mich selbst erlangte.

Seilklettern mit kleinen Kindern ist ja im Grunde nicht so super synergetisch wie zum Beispiel Bouldern, aber mein Projekt ist nicht sehr lang, die Kinder aus dem absturzmäßig Ärgsten raus und Wetter soll nur gutes kommen. Also rein in das Landstraßenvergnügen!

Die erste Etappe endet um drei Uhr morgens in Fribourg nach einem langen Tag Bus fertig basteln. Bei Einbruch der nächsten Dämmerung finde ich mich bereits – oder erst? – im Massif Central wieder. Zusammen mit einem halben Meter Schnee. Vom Straßenrand arbeitet sich dieser immer weiter auch auf die Straße vor. Überwuchert schließlich diese kleinsten Kurvenstrecken, die ich im Verlangen, die Gratis-A75 zu erreichen, frequetiere. Ich werde verrückt (bin ich doch alleine und die Kinder drehen ob des vielen Sitzens eh schon länger durch), aber nur temporär. Ich lande nicht im Graben.

Tags darauf allerdings am Straßenrand. Der Motor springt nicht mehr an. Siurana mittags wäre drin gewesen, jetzt kommt die Entschleunigung, die ich immer erst dort vor Ort verspüre, halt schon hier. Irgendwo südlich von Girona. Nichts geht mehr weiter. Es helfen mir Muslime und Schwarzafrikaner, und nach zwei Abschleppwagen (einer zu klein) und drei Taxis (alle zur falschen Zeit) nach acht Stunden auch der Pannendienst. Die Reparatur erfolgt glücklicherweise noch am gleichen Abend und immer schön am spanischen Staat vorbei. Schließlich sind wir hier in Katalonien.

Felsenriff aus Traum und Eis. Ein Teil der über 40km Kalk um Siurana herum nach einer harten Nacht aus üppig Frost.

Unter einem betörend runden Mond erreiche ich das Felsenriff aus meine Träumen. Es steht noch immer da. Alle Unbill scheint geschlagen. Zeit für das Schicksal, die andere Seite des Spannungsfeldes zu bemühen.

Da sind die Menschen, die uns erwarten und da ist diese Route, vielleicht nur Vorwand, hier zu sein, vielleicht auch mehr: Via de la Capella, 9b. Nachdem ich in in der Route zunächst (zwischen den Jahren 2017) sehr gut ausgesehen hatte, konnte ich Mitte Januar 2018 nach zehn Tagen Chulilla leider nur ein ganz kleine Schippe drauf legen. Zu viel geklettert. Passiert mir, dem zwei-Mal-die-Woche-Kletterer im Urlaub ohne Kinder leicht einmal. In zweieinhalb Wochen zuhause Ende Januar komme ich ob des Gruselwetters und einer leichten Verletzung nur vier Mal an meinen Boulderblock im Garten dazu etwas zu machen. Jeweils eine halbe bis eine Stunde. Nur zweimal unter Vollbelastung.

Die Ruhetage bleiben zunächst auch nach dem schlechten Wetter frisch. Es ist der raueste Februar, den ich hier bislang erleben durfte.

Preisfrage an alle selbsternannten Trainingswissenschaftler: Nennt man das eine gute Vorbereitung?

Auch (und selbst) ich stelle sie mir, so nur relativ angriffslustig und spannungsvoll fühle ich mich. Aber das Schicksal hat schließlich beschlossen, mit mir zu spielen, also ergibt sich am ersten Tag in der Route folgendes Bild:

Trotz erneut kaltem Wetters habe ich Probleme die Füße am Boden zu halten, dermaßen überfällt und überfüllt mich Leichtigkeit. Im Vergleich zu zwei Wochen zuvor schwebe ich durch die Moves und kann die Route im zweiten Versuch des Tages problemlos mit einem Hänger im Seil klettern. Es bleiben mir im besten Fall gute drei Wochen. Das könnte doch reichen!

Wäre da nicht das Schicksal.

Selbst der Regen wirkt geschockt vom Frost, der nach drei Tagen Niederschläge in der ersten klaren Nacht über uns kommt.

Es bereitet in der Folge einen Doppelschlag vor. Erst wird die Scheinfassade der guten, milden Wetterprognose, mit der ich noch drei Tage zuvor aufgebrochen war, nicht nur eingerissen – sie wird förmlich pulverisiert. Statt zehn Grad und Sonne kommen jetzt drei Tage Schnee, Wind und Regen. Für mich persönlich allerdings weit unangenehmer: Die erste bakterielle Mandelentzündung meines Lebens. Mit abfallendem Fahr- und Pannenstress schlägt sie ein wie die Bombe, die die Party platzen lässt (also in etwa so wie wenn die Polizei um drei Uhr morgens an der Tür steht). Innerhalb von Stunden klopfe ich an der Tür zu den 40° Fieber. Gehe zum Glück aber nicht durch. Außer gegen Borreliose habe ich den letzten 25 Jahren kein Antibiotikum genommen, jetzt bettele ich den Arzt in Cornudella um das Rezept an. (Er hätte es mir auch sonst gegeben, schließlich stehen die Penizillin-Schränkchen in Südeuropa immer einen Spalt oder eine Angel weiter offen als im Norden des Kontinents.)

Folgen also unter Schüttelfrost und langsam besserer Gesundheitsform erst Sturm, dann 60mm Regen, dann Schnee und im Übergang zu wieder besserem Wetter knochenharter Frost.

Via de la Capella bekommt einen Eispilz am Ausstieg, unten aber bleibt es trocken. Fast eine Woche ist ins Land gegangen, und obwohl ich mich unter Anstrengung noch immer wie auf 3500m.ü.d.M. fühle, gelingt mir ein guter Versuch. Der beste erste Go aller Tage sozusagen. Schon der zweite aber wird tierisch kalt und angezählt nicht mehr so gut.

Bleiben noch im besten Falle zwei Wochen und zwei Tage bis zur totesten aller Deadlines. Aber man weiß ja nie, vielleicht lässt mir das Schicksal ja noch ein paar Arme à la Popei wachsen.

Ein Adler kommt auf Stippvisite vorbei.

 

Hände wärmen am Tontopf.

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