Touristische Stimmen behaupten die Isla de Sol im Lago Titicaca sei die Wiege der Incakultur. Woran nicht viel dran ist, vorstellen kann man es sich aber trotzdem sehr gut. Die spirituelle Kraft der Lage der Insel, die Feuchtigkeit und Fruchtbarkeit, die der See direkt wie indirekt mit sich bringt, und die Sonnenaufgänge über der Cordillera Real hätten unter Umständen reichen können, um eine jahrhundertelange Hegemonie auf dem Kontinent ins Leben zu rufen.
Wir verbringen drei Tage am Ufer der Sees und auf der Insel, bestaunen die Hotelierskunst der Region und verlieren beinahe Malbec, die Katze, an die lokalen Kätzinnen. Zeit für die Schere (die der Männlichkeit ein Ende setzt). Man isst Forelle (der aus der nördlichen Hemisphäre eingebrachter Fisch, der diesen See von fast allen seinen angestammten Arten „befreite“) und lässt sich auf kleinen, flachen Kähnen, die schon mal untergehen, über die See-Enge zwischen großem und kleinem See befördern. Wir entscheiden uns gegen Peru (das noch zwei Kilometer entfernt liegt) und beschließen damit den nördlichsten Punkt unserer Reise.
Der erste Stopp auf dem Weg zurück ins knapp 3000km und sechs Wochen entfernte Montevideo sind die Ruinen von Tiwanaku, wo einmal das Ufer des Sees war und heute 20km Agrarland (bis zum Ufer). Die Vorgänger der Inkas in dieser Region, deren Reich von der Selva (dem Urwald) bis an den Pazifik reichte, wurden zunächst von 200 Jahren Trockenheit vertrieben. Etwas später dann rückten die Christen an, um ihre prächtigen Bauwerke, Kunstwerke und eine ehemals 80.000 Menschen fassende Stadt zu entteufeln (heißt alles kaputt schlagen und das Gold mitnehmen). Einige Spuren mehr überlebten unter der Erde bis ins frühe 20. Jahrhundert und wurden dann ersten von den Europäern gestohlen (die wichtigsten Funde liegen in Berlin). Trotz alledem findet sich noch immer einiges sehr Interessantes vor Ort und unser Führer transportiert das Verblasste so gut er kann aus der Vergangenheit in unsere Phantasie herüber.
Bereits am selben Abend erreichen wir Oruro 300km südlich. Jeanne hat etwas blauäugig die größte Suite der Stadt gebucht. Ihre Mutter (die zwei Wochen mit uns reist) schläft lieber im Hotel als im Zelt und auch uns stört die Abwechslung nach dreieinhalb Monaten Bus nicht. Was uns erwartet, war bei der Buchung weder den Bildern noch dem mehr oder weniger günstigen Preis zu entnehmen. Etwa 80m² Prunk, wie ihn schlimmer auch Herr Trump nicht hätte sich erdenken können, alles aber seit dem Ende der Diktatur kaum noch benötigt, und also dem Verfall anheim gefallen. Überall bröckelt es und durch die schlierigen Fenster kann man den weiten Ausblick über die nicht besonders schöne Stadt nur mit Mühe ausmachen. Aber das Internet ist gut und so kann ich mich endlich einer vollkommen erfundenen Shitstorm-Welle aus Cordoba in Argentinien erwehren, deren Urheber erst aufhören zu glauben, sie hätten einen 8A/8A+ Boulder von mir aus dem April wiederholt und auf 7B abgewertet, als ich ihnen das Video schicke. Die Verirrungen der Locals etwas weiter nördlich in Brealito, der von mir dort erstbegangene 8B Boulder sei deutlich leichter, lassen sich schließlich auch – wenn auch etwas schwerer – beheben, ist der angebliche Erstbegeher meiner Linie tragischerweise bereits verstorben.
Später lassen wir uns einen hübschen Felsen im gewohnt vermüllten Ambiente quasi in der Stadt zeigen. Es gibt dort eine 8a, von einem Franzosen bestätigt und also eine leise Möglichkeit auf so etwas wie einen Formcheck. Obwohl ich die Methode in beiden Cruxen ziemlich verdrehe, komme ich im Onsight gut durch und kann um ein Haar die zweite 8b+ die Landes nachschieben. Falle aber am letzten Zug der Crux.
Der Ort ist leider keiner zum Bleiben und so wird dieses Projekt offen gelassen. Im Laufe des Nachmittags rücken neben allerlei Zuschauern auch das lokale Sportfernsehen an. Ich gebe mein erstes Interview auf Spanisch, schieße allerlei Selfies und höre zu, wie die anderen Locals dem Reporter erzählen, sie kämen die 8b+ wahlweise wegen ihrer Körpergröße oder des zu hohen Adrenalinspiegels in solchen starken Überhängen (etwa 10° Neigung) nicht herauf.
Mit Schaudern erinnere ich mich an Adam Ondras Erzählungen von den Selfies und Autogrammen, die er – wo immer er auf Kletterer trifft – zu bewältigen hat. Zum Glück behandelt man mich nur auf diesem Kontinent so und zum Glück sind wir in der Regel allein am Fels. Star sein muss ziemlich unangenehm sein.
Den nächsten Tag verbringen wir in einer Hacienda unweit von Potosi, die einst den Mieneninhabern dieser einst zu den reichsten Orten der Welt zählenden Stadt gehörte, und dementsprechend im Prunk ertrank. Die uns jedoch gleichzeitig mit ihren Gerüchen und dem Schatten der eingeführten Weiden, Pappeln und Eichen, die jetzt – denn eigentlich ist ja Winter – ihr Laub zu Boden werfen, in die alte Welt entführt. Unter den Füßen knistert es, die Dachziegel sind spanischer Bauart und ich fühle zum ersten Mal den Winter, wie er sich in Katalonien oder dem Tessin anfühlen könnte. Nach fast vier Monaten auf meist 4000m Höhe bricht sich so etwas wie Heimweh Bahn.
Was verfliegt, als wir unweit der Hacienda einen Berg Basalt entdecken. Bester Fels, Säulen bis zu 60m Höhe und eine Lage zwischen noch viel mehr Fels und goldenen Winterfeldern. So etwas kann man bei uns nicht mehr entdecken.
Abends fahren wir nach Potosi. Hier klingt wieder mehr – wenn auch entfernt – das Heimweh an. Die Altstadt, einmal nicht in Quadras angelegt, verzaubert mit den alten Häusern, engen Märkten und den liebevollen Menschen (nicht unbedingt sehr europäisch). Und dann, des nachts, erreichen wir den Ort, den wir wegen angeblich für schwere Routen unzureichender Felsqualität, bisher umschifft hatten: El Eden.
Servus Pirmin und co.
wann kommt ihr denn zurück nach Deutschland? Ich habe nicht vergessen (und Ihr hoffentlich auch nicht…), dass wir sehr gerne bald nach Eurer Rückkehr einen Film über und mit Euch für “Bergauf Bergab” angehen würden.
Ich verfolge interessiert und begeistert Euren blog und würde mich über eine kurze Nachricht sehr freuen!
Bis bald,
Michi