Blöcke in tausendfacher Ausführung, ein paar schwerere Wiederholungen und die Lieblichkeit des Flachlands. Zwei Wochen Punitaqui und Coquimbo.

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Mein letztlich unvollendetes 8B-Projekt im Granitjungle von Punitaqui.

Der Appetit bricht hemmungslos und ungezügelt über uns herein, nachdem wir Socaire kurz vor dem erneut (zum dritten Mal in drei Wochen) herannahenden Schnee verlassen. Der letzte Tag in der Schlucht nach erfolgreichem Durchstieg meiner ersten 9a auf dieser Reise vergeht bewölkt und kalt und mit zwei letzten, sehr guten Versuchen im noch offenen Projekt. Die wohl beste Linie, die ich bislang eingebohrt habe und eine der besten, die ich versuchen durfte. Oldschool in einer ersten Crux auf der Platte und einer weiteren im leichten Überhang. Zum Schluss ein Sprung. Was will man mehr? Dazu die gesammelten Farben des Altiplano auf ein paar Metern Fels zusammengebracht.

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Schnee in Socaire.

Wir fahren also südwärts und essen. Alles was es noch so gibt im Bus und dann versuchen wir noch etwas zu bekommen in der Wüste. Nur da gibt es nichts. Lässt man Antofagasta rechst liegen, trübt einen ganzen Tag lang im Grunde keine menschliche Behausung den Blick ins Kaum-Etwas des Staubes und des Sandes. Dazu Nebelwetter.
Jeanne ist in Santiago und die Kinder, die während der letzten beiden Tage in Socaire extrem brav waren, drehen mit jedem Meter Meereshöhe, den wir verlieren, mehr auf. Die Strände liegen verlassen da und wir rennen sie auf und ab in unserem Überschwang an Kraft.
Leider waten wir zum Teil fast durch den Müll. Unklar, wie diese Küsten jemals wieder sauber werden sollen und das obwohl doch hier beinahe niemand wohnt. Wie schade, Homo Sapiens! Wir könnten es auf dieser Welt viel schöner haben. Aber dann müssten wir darauf verzichten, diese ganzen Plastiktüten auf den Strand zu werfen. Ein anscheinend unwiderstehliches Verlangen der Einheimischen.

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Kakteen und 10.000 Eier aus Granit. Jules in Punitaqui.

Wir passieren den ersten Granit (seit Capilla del Monte nördlich von Cordoba) in Caldera, aber er bröselt doch extrem dahin vor meinen Augen, die beim Schauen nur ganz leicht von meinen Fingern unterstützt werden. Außerdem regnet es noch, insofern entscheiden wir uns also doch für die große Schlaufe nach Süden bis Punitaqui und Coquimbo.
Kurz vor dem ersten der beiden Boulderspots sammeln wir Jeanne, die mit dem Nachtbus uns entgegen reist, wieder ein und dann beginnt der Urlaub in der Reise. Von der Reise, wenn man so will. Socaire im Norden lockte uns mit bestem Grip, mit Winterbildern aus der Wüste und mit maximal zehn Grad tagsüber (im Schatten, in der Sonne ist es in diesen Breiten immer warm bis heiß), von den Nächten ganz zu schweigen. Zwischen den wundersam farbigen und eirigen Blöcken von Punitaqui erreichen wir jetzt beinahe 30 Grad im Schatten und trotzdem hat auch diese Welt nach dem ungewöhnlich starken Regen einen anderen Mantel an als den Gewohnten. Statt einen weißen Sonntagsrock wie der Norden, trägt man hier grün über dem üblichen, trockenen Braun. Von überall flaumt es herauf.

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Aus dem Schnee Richtung Antofagasta.

Der Fels ist rau und auf Ebene der Kristalle fest, nur hin und wieder „kleben“ große Schuppen oben auf, die man entfernen muss. In Europa (das Gesamtbild erinnert an Targassonne nur in einem ungleich größeren Format) wäre hier sehr viel oder alles erschlossen, mit weißen Punkten überzogen, in Berichten, Bildern, Videos weltbekannt gemacht. Hier versuche ich verzweifelt Spuren bouldernden Lebens zu entdecken. Weitestgehend ohne Erfolg, was mich erneut in diese Ecke treibt, die ich in den letzten Jahren schon so oft kennen lernen durfte oder musste: Die eigene Enge im allgemeinen Überfluss der Felsen. Tuzgle, Capilla, Suru, usw. Man weiß erst nicht wo und nach stundenlangem Suchen nach der perfekten Linie, die es im Schlaraffenland der Felsen nicht geben kann (weil hinter jedem Block noch eine bessere Wand stehen könnte, angesichts der Weite des Raums dort fast stehen muss), weiß man bald nicht mehr ob man überhaupt beginnen kann zu putzen.
Ich wende also eine Heuristik der Einfachheit an und nehme den nächsten schönen, großen Block direkt am Parkplatz. Mit nicht viel mehr als 7C rechnend, finde ich mich erst einmal drei Sessions lang beim Nachrechnen wieder, ehe ich wenigstens nur noch knapp vor Ende der Schwierigkeiten falle. Wir vertagen, auch weil uns leider unsere Teleskopleiter geklaut wird. Ärgerlich. Außerdem verfolgt uns in diesem Jahr des Wetterphänomens „El Nino“ das durchwachsene Klima auch hier seit nun zwei Tagen. Nebel, der vom Pazifik eindringt und vor den Bergen stehend keinen anderen Ausweg sieht, als zu bleiben.

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Das Highball-Projekt aus anderer Perspektive.

Ohnehin wird es Zeit, endlich einmal eine Art Formcheck in bereits begangenen Bouldern oder Routen abzuhalten. Hierfür haben wir schon länger den Kontakt Emilios aus Coquimbo. Sympathischer, ausgewanderter Halbkatalane und eine Küste mit Blöcken über zumindest 100km. Und nach dem Müll (1km-Radius um alles Bewohnte oder Beparkte) auch wunderschön. Goldene Blöcke, (Golden ist auch der Name des Sektors in Totoralillo) perfekter, gut strukturierter Fels, eine frische, (feuchte) Brise vom Meer und Chalkflecken überall. Ein echtes Bouldergebiet.
Ich bin gespannt, wie es in diesem so ganz anderen Stil, anderem Fels, anderer Neigung und anderer Länge bei ganz anderen Bedingungen als in Socaire läuft. Die Sonne scheint (auf den Boulder, den man mir jetzt zeigt), die Luft briselt bei 20° dahin und auch ansonsten würde ich in dieser kurzen, stark überhängenden Linie vor mir nicht mit besonders viel Gemeinsamkeiten mit der Kletterei in Socaire rechnen. „8A-Klassiker“, heißt es.
Leider weiß niemand, wie es geht. Also versuche ich es einfach einmal praktisch on sight. Und falle am letzten schweren Zug nachdem ich mit meiner höhenbedingten Supermaximalkraftausdauer fünf Minuten am Ausstieg nach der Crux herumprobiert habe. Im nächsten Versuch beugt er sich dann. Mit klarerer Ansage fiele dieses Problem auch bei diesen Bedingungen klar in die Kategorie „Flash-Fall“.

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Das unstabile Wetter hält an. Nebel auf dem Weg zum Pazifik.

Der Grad scheint jedoch so bestätigt, wie er das hier eben maximal sein kann. Bringt mich aber gleichzeitig in die Bredouille: Sowohl die Crux in Ruta de Cobre ist bei viel besseren Bedingungen (und erfolgreicher Höhenanpassung) deutlich schwerer (auch subjetiv, obwohl diese leicht überhängende Kletterei deutlich mehr mein Fall als das hier ist). Von der 8B-Schlüsselstelle im offenen Projekt mal ganz zu schweigen. Stimmt dieser Grad hier auch nur halbwegs, ist meine Form recht animalisch und die Erstbegehungen in Socaire eine Ladung dicker Bretter.
Tags darauf stöbert Emilio noch einen V14/V15 für mich auf. Ich staune. 8B+/8C. Ein beinahe-Dach quasi direkt am Wasser, das niemals Sonne bekommt und folglich feuchter ist als der Boden in einem Fastfoodrestaurant kurz nach dem Wischen. Die Optik der Linie ist dem Grad nicht ganz gewachsen, Blöcke am Boden verhindern barrierefreies Klettern, aber die Moves sind und gehen gut. Und gelingen im Grunde viel zu schnell für etwas, das einer 9a/9a+ entsprechen sollte. Erst der berstende Schlussgriff nach dem Cruxzug hält mich auf. Ich will jetzt nicht behaupten, dass ich dieses Ding bei guten Bedingungen außen (die es hier vielleicht nur ganz selten gibt) und innen (der Vorabend verlief, sagen wir mal, sehr entspannt) in einem Tag hätte wiederholen können. Aber auf jeden Fall in auch nicht viel mehr Zeit.

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Nur die Ausläufer eines Berges voller Blöcke. Punitaqui.

Beschwingt von der eigenen Form kaufen wir eine Bohrmaschine. Schließlich hatte ich irgendwann in den letzten Wochen Geburtstag (gefühlt hält sich dieser schneebedeckte Tag in den Bergen über Socaire und dem Nahtod der Katze irgendwo in meiner persönlich-episodischen Frühsteinzeit auf) und außerdem zeichnet sich mit Petzl ein Hakendeal ab.
Seit die Kinder alt genug sind, auch beim Routenklettern mitzumachen, dabei Spaß zu haben, wenn es sein muss, auch brav zu sein, zieht es mich unweigerlich zurück zu meinen Wurzeln des Kletterns mit Seil. Vor allem unter ästhetischen Aspekten bespringen einen hier die 30m langen Linien einfach heftiger als die 4m-Dächer. Und dann bin ich einfach auch zu schwach zum echten Bouldern. Kaum kann ich mich an ein 8B-Problem (oder härter) auf meiner Liste erinnern, das weniger als 15 Züge hätte. Vor allem der Faktor Meereshöhe, der mir bei allem, was ich um die 20 Moves ohne gute Ruhepunkte mache, extrem in die Karten spielt, fällt beim Seilklettern deutlich wahrscheinlicher und stärker an. Tuzgle wir kommen! (Irgendwann in den zweieinhalb Monaten, die uns noch bleiben. Und wir werden dir die ein oder andere Linie verpassen, die du so schnell nicht mehr vergessen wirst.)
Wir nisten uns zum Schutze vor einer Regenfront in einer günstigen Wohnung ein, regeln das Seelenleben unserer digitalen Profile und kehren dann noch einmal nach Punitaqiui zurück, um dem dort verbliebenen Projekt auf die Schliche und der verschwundenen Leiter auf die Spur zu kommen. Was folgt ist die erste echte „Nicht-Lauf“ in einem Boulder auf dieser Reise. Acht Mal falle ich nach der Crux aus dem selben Hook heraus, dann ist es zu warm, die Haut unten und der Drive irgendwie auch. 28° und eingrauender Nachmittag. Ich glaube, das lassen wir mal. Ein wunderbarer Ort, Potenzial für ein halbes Volk an Kletterern und fast immer blauer Himmel (außer im El Nino Jahr), aber eben keine unwirklich schönen Lochklettereien in der weitsichtig dünnen Luft über dem Salar de Atacama. Ich bekomme das Projekt in Socaire nicht aus dem Kopf und so langsam sollte der Schnee dort hoffentlich geschmolzen sein.

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Und weil es so schön ist nochmal…

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